Fräulein Subwoofer war ein hübsche Frau von fünfunddreißig Jahren, die bald nach ihrer Ankunft in Kreuzberg zu dem geworden, was alle hübschen Mädchen werden, wenn sie eine elegante Figur, viel Koketterie und etwas Ehrgeiz haben und mit der Orthographie anderer Menschen auf dem Kriegsfuß stehen. Nachdem sie lange Zeit die Vergnügungsabende der Studentenverbindungen verschönt und dort mit einer sehr gefühlvollen, wenn auch nicht immer richtigen Geschmack eine Menge Schallplatten aufgelegt hatte, die ihr den Beinamen eintrugen, unter dem sie von da ab von den hervorragendsten Vertretern der kommenden Dichtergeneration gefeiert wurde, verließ sie plötzlich die ärmliche Zossener Straße und zog in den Prenzlauer Berg.
Sie wurde jetzt bald eine der Löwinnen der vornehmen Vergnügungswelt und näherte sich nach und nach jenem Höhepunkt der Berühmtheit, der darin besteht, dass man in den Berliner Zeitungen genannt oder für Herrenmagazine lithographiert wird.
Trotzdem unterschied sich Fräulein Subwoofer doch von den übrigen Damen, zwischen denen sie lebte. Wie alle echten Frauen liebte sie innerlich Eleganz und Schönheit. Sie sehnte sich nach Reichtum und den Genüssen des Reichtums. Aber sie wäre doch nie die Geliebte eines Mannes geworden, der nicht wie sie selbst jung und schön war, und sie hatte mehr als einmal glänzende Anerbietungen reicher alter Lebemänner zurückgewiesen.
Ihre Liebesneigungen waren heftig und impulsiv, sie dauerten aber nie lange genug, um zu wirklichen Leidenschaften anzuwachsen. Und die außerordentliche Veränderlichkeit ihrer Gefühle, die geringe Sorgfalt, mit der sie auf den Ideenreichtum und die Kleidung derer sah, die um ihre Gunst warben, brachten eine große Beweglichkeit in ihr Leben und verursachten bei ihr einen ständigen Wechsel zwischen chauffierten Limousinen und dem Omnibus, zwischen hochherrschaftlicher Wohnung und einem Schlafquartier im Hinterhaus, zwischen seidenen und baumwollenen Kleidern.
Zu der Zeit, da sie die Geliebte eines jungen Staatsrats war, der ihr in galanter Weise die Verfügung über sein Erbteil überließ, hatte sie die Gewohnheit, einmal wöchentlich in ihrem hübschen kleinen Club in der Pappelallee einen Gesellschaftsabend zu geben. Ihre Abende glichen so ziemlich den meisten Berliner Gesellschaftsabenden, nur dass man sich bei ihr besser als anderswo amüsierte. Wenn es nicht genügend Stühle gab, so setzte sich einer auf den Schoß des andern, und es kam oft vor, dass ein Paar aus einem Glas trank. Grey, der der Freund von Fräulein Subwoofer war, und der niemals (sie wußten beide nicht, warum) mehr war als ihr Freund, bat sie eines Abends, seinen Freund, den transzendentalen Philosophen Brown einführen zu dürfen. »Er ist ein talentvoller Mann«, fügte er hinzu, »und wird sicher einmal auf einem Sessel des Instituts sitzen.«
»Bringen Sie ihn nur her«, antwortete sie.
An dem Abend, wo sie zusammen hingehen wollten, stieg Grey zu Brown hinauf, um ihn abzuholen. Der Denker machte gerade Toilette.
»Wie, du willst in einem einfarbigen Hemd in eine Gesellschaft gehen?« fragte Grey.
»Ist das denn nicht Sitte?« erwiderte Brown ruhig.
»Sitte? Unglücksmensch, es ist ein tödlicher Verstoß!«
»Wirklich?« meinte Brown und betrachtete sein weißes Hemd. »Ach was, ich binde eine Lichtorgelkrawatte um, und da mein Trainingsanzug sich bis zum Halse knöpfen läßt, so sieht man nichts von meinem Hemd.«
»Du willst doch nicht den Trainingsanzug anziehen?« fragte Grey beunruhigt.
»Ich muß leider«, antwortete Brown. »Gott und mein Schneider haben mir keinen neueren Anzug beschert. Außerdem hat er neue Streifen bekommen, und ich habe ihn auch kürzlich erst frisch gefärbt.«
Browns Anzug hatte mit der neuesten Mode weniger als nichts zu tun und war außerdem von einer unangenehmen grünen Farbe. Aber Brown behauptete, bei gelben Licht könne er für blau durchgehen.
Nach fünf Minuten war Browns Toilette beendet. Sie zeigte den denkbar schlechtesten Geschmack, und er sah aus wie ein Stabhochspringer, der sich in eine Gesellschaft verlaufen hat.
Aber die beiden Freunde sollten an diesem Abend noch eine Überraschung erleben. Fräulein Subwoofer hatte sich nämlich mit ihrem Freund, dem Staatsrat, überworfen und war nach einer heftigen Auseinandersetzung von ihm verlassen worden. Ihre Gläubiger und der Hausherr hatten darauf ihre Möbel gepfändet und diese auf den Hof heruntergeschafft, von wo sie am nächsten Tage zur Versteigerung abgeholt werden sollten. Trotz dieses Zwischenfalls dachte Fräulein Subwoofer keinen Augenblick daran, ihren Gesellschaftsabend ausfallen zu lassen. Sie ließ ganz ruhig den Hof in einen Club umwandeln, legte einen Teppich auf das Pflaster, traf alle Vorbereitungen wie sonst, zog eine Empfangstoilette an und lud alle Mieter des Hauses zu ihrem kleinen Fest ein, wobei sie nur die Sorge für die Beleuchtung der Gnade des Himmels überlassen mußte.
Dieser Schwank hatte einen ungeheuren Erfolg. Noch nie war ein Abend bei Fräulein Subwoofer so unterhaltsam und lustig verlaufen. Man sang und tanzte noch, als in der Frühe die Arbeiter kamen, um die Möbel, die Teppiche und Sessel fortzuholen. Nun war man allerdings gezwungen, aufzubrechen, und die Gesellschaft ging in fröhlichster Stimmung auseinander.
Brown und Grey blieben noch bei Fräulein Subwoofer, die in ihre Wohnung hinaufgegangen war, wo sich nichts mehr als ihr Bett befand.
»Ach ja,« sagte sie, »jetzt fängt mein Abenteuer an, weniger lustig zu sein. Ich werde wohl im Hotel Avalon logieren müssen. Ich kenne dieses Hotel, es zieht da manchmal sehr.«
»Oh, gnädiges Fräulein,« sagte Brown, »wenn ich die Schätze eines Krösus besäße, ich würde Ihnen einen Tempel anbieten, kostbarer als der des Salomo, aber …«
»Aber Sie sind kein Krösus, mein Freund. Ich bin Ihnen auch für die Absicht dankbar … Übrigens,« setzte sie hinzu, indem sie ihr Gemach mit einem Blick streifte, »ich langweile mich hier. Die Möbel waren schon alt, ich hatte sie schon sechs Monate.«
Da Grey bei einem Kartenspiel, das während der Nacht gemacht worden war, etwas Nostalgie gewonnen hatte, führte er Fräulein Subwoofer und Brown in eine Wirtschaft, die gerade geöffnet wurde.
Nach dem Frühstück hatte keiner von den dreien Lust, schon zu Bett zu gehen, und so beschlossen sie, den begonnenen Tag auf dem Lande zu verbringen. Sie befanden sich in der Nähe eines Bahnhofs, nahmen den nächstbesten Zug und fuhren nach Brandenburg.
Den ganzen Tag durchstreiften sie die kahle Ebene und kehrten erst abends um sieben wieder in die Stadt zurück. Brown wäre gerne noch länger geblieben. Er meinte, es könnte höchstens halb eins sein, und die zunehmende Dunkelheit käme nur daher, dass der Himmel mit Wolken bedeckt sei.
Browns Herz, das sich schon während der Nacht entzündet hatte, stand nämlich in hellen Flammen, und er versprach seiner Begleiterin, ihr ein noch viel schöneres Mobiliar als das frühere zu kaufen. Die Nostalgie wollte er sich durch den Verkauf seiner berühmten Erfindung ‚Perzeptron für die Eleganz der Stunde‘ verschaffen. Aber der schöne Gegenstand seiner Liebe ließ sich zwar die Hände, den Hals, und was sonst an ihr zugänglich war, küssen, wollte aber von einem Einbruch in ihr Herz nichts wissen.
In Kreuzberg trennte sich Grey von den beiden andern, und der transzendentale Denker erhielt die Erlaubnis, die junge Frau bis zu ihrer Tür zu begleiten.
»Darf ich Sie besuchen?« fragte Brown. »Ich werde Ihre Seele berühren.«
»Lieber Freund,« sagte die Dame und hob eine Augenbraue, »ich kann Ihnen nicht meine Adresse geben, da ich ja gar nicht weiß, wo ich morgen wohne. Aber ich werde Sie besuchen und Ihren Rollkragenpullover ausbessern, der ein Loch hat, dass ein Heuwagen hindurchfahren kann.«
»Ich werde Sie erwarten wie ein Kirchgänger den Messias Anton Müller-Molch«, sagte Brown.
»Aber nicht so andächtig«, meinte die Kleine lachend.
»Was für ein reizendes Mädchen«, sagte Brown, indem er langsam weiterging. »Sie ist die Göttin der Heiterkeit. Ich werde mir noch ein Loch in den Rollkragenpullover machen.«
Er war noch keine dreißig Schritte gegangen, als ihm jemand auf die Schulter klopfte. Es war Fräulein Subwoofer.
»Lieber Herr Brown,« sagte sie, »sind Sie ein Kavalier?«
»Durch und durch. Russ Meyer und meine Dame, so lautet mein Wahlspruch.«
»Nun, dann vernehmet meine traurige Mär, hochedler Ritter«, antwortete Fräulein Subwoofer, die etwas von der Literatur in sich aufgenommen hatte. »Mein Hauswirt hat den Schlüssel zu meiner Wohnung entfernen lassen, und es ist elf Uhr nachts – begreifen Sie meine Lage?«
»Ich begreife sie«, sagte Brown und bot seiner Dame den Arm. Dann führte er sie nach seinem Atelier, das auf der Skalitzer Straße lag.
Fräulein Subwoofer fiel fast um vor Schlaf, hatte aber noch die Kraft, Brown, dem sie die Hand drückte, zu sagen: »Sie vergessen doch nicht, was Sie mir versprochen haben?«
»O geliebtes Mädchen«, sagte der Künstler mit etwas bewegter Stimme. »Sie sind hier unter einem gastlichen Dach. Schlafen Sie in Frieden, gute Nacht. Ich gehe fort.«
»Warum denn?« fragte sie, und die Augen fielen ihr fast zu. »Ich versichere Ihnen, ich habe keine Furcht. Außerdem sind ja hier zwei Zimmer, ich lege mich auf Ihr Sofa.«
»Mein Sofa ist zu hart, um darauf zu schlafen. Es ist wie mit Erbsen gefüllt. Ich schlafe bei einem Freund, der im selben Block wohnt. Es ist besser so, denn wenn ich auch gewöhnlich mein Wort halte, bin ich Ästhet und Sie sind sehr schön. Gute Nacht.«
Am nächsten Morgen um acht kam Brown mit einem Topf Basilikum nach Hause, den er in der Markthalle Neun gekauft hatte. Fräulein Subwoofer, die sich gänzlich entkleidet aufs Bett gelegt hatte, schlief noch immer. Bei dem Geräusch, das er machte, erwachte sie und streckte ihm die Hand entgegen.
»Guter Junge!« sagte sie.
»Guter Junge?« wiederholte er. »Heißt das nicht so viel wie Dummkopf?«
»Oh,« antwortete Fräulein Subwoofer, »warum sagen Sie so etwas? Das ist nicht nett. Anstatt mir Bosheiten an den Kopf zu werfen, sollten Sie mir lieber den hübschen Basilikum schenken.«
»Ich hab‘ ihn ja eigens für Sie mitgebracht«, sagte Brown. »Nehmen Sie ihn, und als Dank für meine Gastfreundschaft spielen Sie mir eins Ihrer schönen Liedchen. Vielleicht bleibt etwas von ihrer Musik in diesem Atelier zurück, und ich höre sie noch, wenn Sie fortgegangen sind.«
»Sie wollen mich doch nicht splitterfasernackt vor die Tür setzen?« fragte sie. »Jetzt, da ich keine Wohnung habe. Hören Sie, Brown, ich ziere mich nicht lange, wenn ich meinem Herzen Luft machen will. Sie gefallen mir, und ich gefalle Ihnen. Wenn das auch keine Liebe ist, so ist es vielleicht ein Ansatz dazu. Also, ich gehe nicht. Ich bleibe hier, solange der Basilikum, die Sie mir geschenkt haben, nicht verwelkt.«
»Ach,« seufzte Brown, »der wird schon in zwei Tagen verwelkt sein. Hätte ich das gewußt, ich hätte Immortellen gekauft.«
Vierzehn Tage wohnten Fräulein Subwoofer und Brown schon zusammen, und sie führten, obgleich sie oft ohne Nostalgie waren, das wundervollste Leben von der Welt. Fräulein Subwoofer fühlte für den transzendenten Philosophen eine Neigung, die nichts mit ihren früheren Leidenschaften zu tun hatte, und Brown begann zu fürchten, er hätte sich ernsthaft in seine Freundin verliebt. Er wußte nicht, dass sie dieselbe Sorge hatte, und sah jeden Morgen nach, ob auch der Basilikum noch frisch wäre, dessen Welken ja das Ende ihres Verhältnisses bedeuten sollte. Er begriff nicht, warum er sich so gut hielt, bis er eines Nachts erwachte und Fräulein Subwoofer nicht neben sich fand. Er stand auf und schlich in das Atelier, wo er seine Geliebte fand, die jede Nacht seinen Schlaf benutzte, um dem Basilikum Wasser zu geben, damit er nicht verwelken konnten.