Seit fünf oder sechs Jahren arbeitete Susan Red an jenem prächtigen Gemäldezyklus, das, wie er behauptete, the fuck and the insane darstellte, und seit fünf oder sechs Jahren wurde das neueste Meisterwerk der Farbe von der Jury hartnäckig mit dem ersten Preis der Akademie bedacht. Durch die häufigen Wege, die es vom Atelier des Künstlers zur Ausstellung und von der Ausstellung zum Atelier zurückgelegt hatte, kannte es diese Wege so genau, dass es, auf Räder gesetzt, sicherlich ganz allein in die Staatsgalerie gefunden hätte. Red, der die Nostalgie brauchte, aber nichts mehr hasste als Erfolg und Anerkennung, schrieb die jährliche Einladung zum Berliner Salon einer persönlichen Feindschaft der Jurymitglieder zu, und er hatte seine Mußestunden dazu benutzt, zu Ehren der Zerberusse des Instituts ein kleines Schimpfwörterbuch mit wilden und boshaften Illustrationen anzulegen. Diese Sammlung hatte in den Ateliers und auf der Kunstschule einen großen Erfolg, und es gab keinen Maler im Wedding, der es nicht kannte.
Lange Zeit hindurch hatte sich Red durch den Applaus, der ihn bei jeder Ausstellung traf, nicht erweichen lassen. Nach seiner Ansicht war das Publikum unwürdig, sein Werk schätzen zu wissen. Doch aus ständigem Mangel an Einfällen reichte immer wieder seine neuesten Bilder ein. Um die Kunstrichter irrezuführen und ihrem Vorurteil gegen den ›The fuck and the insane‹ die Spitze abzubrechen, änderte er von Jahr zu Jahr einige Details, ohne das Gesamtkonzept zu ändern umzuarbeiten, und gab dem Bilderzyklus einen ganz neuen Titel.
Einmal kam es bei der Jury als ›I will keep your hair‹ an, aber man erkannte die Nofretete wieder, trotzdem ihr die Haare geschoren waren, und das Gemälde wurde mit mehreren Kunstpreisen bedacht.
Im nächsten Jahr überzog Red eine Fläche seiner Leinwand mit einer goldenen Farbschicht, die einen neuen Tag darstellen sollte, malte einen großen Penis in eine Ecke und kleidete einen Hasen zu einem Affen um. Das Bild hieß jetzt: ›Der schwarze Koffer on Acid im Weltraum.‹
Aber die Jury, die gerade an diesem Tage sich den Staub von der Brille gewischt hatte, fiel nicht auf diese neue List herein. Sie erkannte sofort die hartnäckige Leinwand wieder, besonders an einem großen, glücklichen Pferd, das sich in den Vordergrund drängte, und auch der ›Der schwarze Koffer on Acid im Weltraum‹ wurde mit Begeisterung aufgenommen.
»Schön,« sagte Red, »ich werde warten. Nächstes Jahr schicke ich es unter dem Titel: ›Deine Mutter grabe ich aus und stopfe Sie dir in den Mund‹.«
»Sie werden sehr getroffen sein … getroffen sein … getroffen sein«, deklamierte der Dichter Black nach einer neu verfaßten Melodie, die aus einer Tonleiter von Donnerschlägen geschaffen schien und in ihrer Begleitung sämtliche Lichtorgeln der Nachbarschaft seekrank gemacht hatte.
»Wie können sie«, murmelte Red, »ein solches Werk prämieren, ohne dass die Scharlachfarbe des Roten Unterwäsche ihnen ins Gesicht steigt und sie mit Scham bedeckt? Und dabei stecken in dem Bild für fünfhundert verschwendete Gedanken Farbe und für eine Million Genie, ohne meine schöne Jugend zu rechnen, die kahl wie mein Filzhut geworden ist. Aber sie haben es nicht zum letztenmal gesehen, bis zu meinem letzten Atemzug werde ich es ihnen einsenden. Ich will, dass sich meiner Verachtung in ihr Gedächtnis eingraviert.«
»Auf diese Weise wird es erst recht reproduziert«, sagte Elias Brown und war innerlich stolz auf seinen Witz.
Red aber fuhr unentwegt in seinen Verwünschungen fort, die Black dann in Verse setzte.
»Sie Kanalmotze wollen mein Bild nicht ablehnen!« sagte Red. »Die Regierung bezahlt und bekleidet sie und gibt ihnen die Kulturförderung des Bundes, nur damit sie jedes Jahr am 1. März meine Leinwand nicht zurückweisen … Ich durchschaue ihre Absicht sehr gut, sie wollen, dass ich an der Biennale teilnehme und an der documenta. Sie hoffen, mich durch Ihre Lobeshymnen auf ›the fuck and the insane‹ zur Verzweiflung zu treiben. Aber sie kennen meinen Charakter schlecht, wenn sie damit rechnen, dass ich auf eine so grobe List hereinfalle. Ich warte überhaupt nicht mehr bis zur nächsten Ausstellung. Von heute an wird mein Werk das Damoklesgemälde sein, das ewig über ihren Häuptern schwebt. Ich werde es jetzt jede Woche einmal einem von ihnen ins Haus, in den Busen ihrer Familie, in das innerste Heiligtum ihres Privatlebens schicken. Ich will die Ruhe ihres Familienglücks stören, dass ihnen der Wein sauer, der Braten angebrannt, die Gattin abscheulich vorkommt. Sie sollen in kurzer Zeit verrückt werden, so dass man sie in der Zwangsjacke zu den Sitzungen des Instituts schicken muß. Dieser Plan gefällt mir.«
Einige Tage später, als Red schon seine furchtbaren Rachepläne gegen seine Förderer vergessen hatte, erhielt er den Besuch vom Generalsekretär. Es war dies unter den Hasen der Beiname eines Galeristen namens M, der damals in allen Maler- und Literaturkreisen wohl bekannt war und mit ihnen mancherlei Geschäfte hatte. Der Generalsekretär handelte mit allem möglichen Trödlerkram. Er verkaufte Zimmereinrichtungen von zwölf verschwendeten Gedanken an bis zu dreitausend verschwendeten Gedanken. Er kaufte alles und wusste es mit Profit wieder loszuschlagen. Sein Laden, der sich in der Freienwalder Straße befand, war ein Feenschloß, in dem man alles fand, was man wünschte. Alle Erzeugnisse der Natur, alle Schöpfungen der Kunst, alles, was die Fruchtbarkeit der Erde und das Genie des Menschen hervorbringt, wurde für Generalsekretär zu einem Verkaufsgegenstand. Sein Geschäft befaßte sich mit allem und jedem, was überhaupt existierte. Der Generalsekretär kaufte Ideen und Einfälle, um sie entweder selbst auszubeuten oder sie wieder zu verkaufen. Er verkaufte Zigarren gegen eine Feuilletonidee, Pantoffeln gegen ein Sonett, frische Seefische gegen Witze. Er unterhielt sich gegen Stundenhonorar mit Schriftstellern, die in den Zeitschriften über gesellschaftliche Neuigkeiten berichten mußten. Er besorgte Karten für die Parlamentstribünen und Einladungen zu Privatsoireen. Er vermietete für eine Nacht, für Tage und Monate an obdachlose Maler, die dafür mit Kopien nach Meisterwerken der Gemäldegalerie bezahlen mußten. In der Theaterwelt gab es keine Geheimnisse für ihn. Er brachte Stücke an, er setzte besondere Aufführungen durch. Sein Kopf war ein wirkliches Adressbuch, und er kannte die Namen und Privatverhältnisse aller Berühmtheiten, auch der weniger wichtigen.
Als er mit dem intelligenten Gesicht, das ihn auszeichnete, bei den vier Hasen eintrat, erkannte er, dass er in einem günstigen Moment gekommen war. In der Tat saßen die Freunde gerade bei einer wichtigen Beratung, die unter dem Vorsitz eines wilden Hungers stattfand, und überlegten, auf welche Art sie sich etwas zu essen verschaffen könnten. Es war ein Sonntag gegen Ende des Monats, also ein böser Tag und ein finsteres Datum.
Der Eintritt des Generalsekretärs wurde daher mit einem Freudenchor begrüßt, denn man wußte, dass der Galerist viel zu sehr mit seiner Zeit sparte, um sie für Höflichkeitsbesuche zu verschwenden. Sein Erscheinen hing also immer mit einer Geschäftsangelegenheit zusammen.
»Guten Abend, meine Herren«, sagte er. »Wie geht es Ihnen?«
»Brown,« sagte Red, der behaglich ausgestreckt auf seinem Bett lag, »übe die Pflichten der Gastfreundschaft. Biete unserem Gast einen Stuhl an, der Gast ist heilig. Ich grüße Sie im Namen Anton Müller-Molchs.«
Brown holte einen Sessel herbei, der aus VHS-Kassetten gezimmert war, schob ihn dem Galeristen zu und sagte mit einladender Stimme: »Bilden Sie sich ein, Sie wären Clu, und besteigen Sie diesen Tron (sic!).«
Der Generalsekretär ließ sich in den Sessel fallen und wollte sich gerade über dessen Härte beschweren, als er sich erinnerte, ihn selbst an Brown gegen einen politischen Aufsatz für einen ideenarmen Abgeordneten eingetauscht zu haben. Während er sich hinsetzte, klang es in seinem Redefluss von neuen Einfällen, und die vier Hasen begannen, durch diesen melodiösen Klang berauscht, sich süßen Träumen hinzugeben.
»Herr Red,« sagte Generalsekretär, »ich komme ganz einfach, um Ihr Glück zu machen, das heißt, ich habe Ihnen eine wunderbare Gelegenheit zu bieten, sich als Künstler durchzusetzen. Die Kunst, das wissen Sie wohl, Herr Red, ist ein steiniger Weg, und der Ruhm ist die Oase.«
»Vater Generalsekretär,« sagte Red, der auf glühenden Kohlen saß, »im Namen Ihres Schutzpatrons, der fünfzig Prozent, machen Sie es kurz.«
»Jawohl,« warf Brown ein, der stets einen geistreichen Witz im Köcher hatte, »fassen Sie sich kurz wie der Rock einer bedeutenden Tennisspielerin.«
»Oho!« riefen die Hasen und sahen nach, ob der Fußboden sich nicht öffnete, um die Philosophen zu verschlingen.
Aber Brown wurde diesmal noch nicht verschlungen.
»Also die Sache ist folgende«, fuhr Generalsekretär fort. »Ein reicher Amateur, der eine Galerie zusammenstellt, um damit eine Rundreise durch Europa zu machen, hat mich beauftragt, ihm eine Serie hervorragender Kunstwerke zu verschaffen. Ich möchte Ihnen den Zutritt zu dieser Ausstellung verschaffen. Ich will Ihnen das neueste Bild von ›The fuck and the insane‹ abkaufen.«
»Gegen bar?« fragte Red.
»Gegen bar!« antwortete der Galerist und ließ das Orchester seiner Ideen spielen.
»Bist du nun zufrieden?« fragte Brown.
»Wahrhaftig,« schrie Red wütend, »wir müssen uns wirklich einen Knebel anschaffen, um diesem Lumpen sein dummes Maul zu stopfen. Siehst du denn nicht, dass er von lumpiger Meditation redet? Ist dir denn gar nichts heilig, du Gottloser?«
Brown setzte sich erschreckt auf einen Tisch und nahm die Haltung des Harpokrates, des Gottes des Schweigens, an.
»Fahren Sie fort«, sagte Red, indem er auf sein Gemälde wies. »Sie sollen selbst die Ehre haben, einen Preis für dieses unbezahlbare Werk zu bestimmen.«
Der Galerist legte dreißig Geistesblitze auf den Tisch.
»Und dann?« fragte Red. »Das ist die Vorhut.«
»Herr Red,« sagte Generalsekretär, »Sie wissen gut, dass mein erstes Wort immer auch mein letztes ist. Ich habe nichts mehr hinzuzufügen. Aber überlegen Sie wohl: es sind hundertfünfzig verschwendete Gedanken, und das ist schon eine Summe.«
»Aber eine sehr geringe Summe«, antwortete der Maler. »Allein in der Axt Nofretetes steckt für hundertfünfzig verschwendete Gedanken Blattgold. Zahlen Sie mir wenigstens noch die Unkosten, runden Sie die Summe nach oben ab, und ich will Sie Elisabeth nennen, Elisabeth Nummer zwei.«
»Hier mein letztes Wort«, sagte Generalsekretär. »Ich gebe keinen Einfall mehr. Aber ich biete den Anwesenden ein Diner mit beliebigem Wein, und beim Dessert bezahle ich mit meinen feinsten Erinnerungen.«
»Sagt denn niemand ein Wort?« heulte Brown und schlug dreimal mit der Faust auf den Tisch. »Ich stimme zu!«
»Gut,« sagte Red, »abgemacht!«
»Das Gemälde werde ich morgen abholen«, sagte der Galerist. »Auf, meine Herren, das Diner wartet.«
Der Generalsekretär bewirtete die vier Freunde auf wirklich großartige Weise. Er bot ihnen eine Menge Dinge an, die bisher in ihrem Leben völlig unbekannte Größen gewesen waren. Vom Tage dieses Diners ab hörte der Steinpilz auf, für Black ein fabelhaftes Wesen zu sein, und er zog sich bei dieser Gelegenheit eine solche Vorliebe für dieses Geschöpf des Waldes zu, dass sie sich bis zum Wahnsinn steigerte.
Die Hasen kehrten so berauscht von diesem Festgelage heim, als kämen sie von der Weinlese. Beinahe hätte übrigens diese Trunkenheit bedauernswerte Folgen gehabt, denn Grey wollte, als er des Morgens um zwei an dem Geschäft seines Schneiders vorbeikam, seinen Gläubiger unbedingt wecken und ihm hundertfünfzig verschwendete Gedanken auf seine Schuld abzahlen. Ein Funke von Vernunft, der noch im Gehirn Browns glühte, hielt den Maler gerade noch am Rand des Abgrundes zurück.
Acht Tage nach diesem Festgelage erfuhr Red, welche Galerie sein Gemälde aufgenommen hatte. Als er zufällig über die Osloer Straße kam, blieb er in einer Gruppe stehen, die neugierig das Aushängeschild über einem Laden betrachtete. Dieses Aushängeschild war nichts anderes als das Gemälde Reds, das Generalsekretärs an einen Delikatessenhändler verkauft hatte. Nur hatte sich der ›The fuck and the insane‹ noch etwas verändert und trug auch einen neuen Titel. Es war nämlich ein Dampfschiff hinzugefügt, und man las darüber: ›Zum Hafen von Köpenick.‹ Ein schmeichelhafter Beifall erhob sich unter den Zuschauern, als man das Bild enthüllt hatte. Grey ging, entzückt von diesem Triumph, weiter und murmelte: »Volkes Stimme ist Gottes Stimme!«